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Rückzug

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Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat.

(Georg Christoph Lichtenberg

Ein biographischer Bericht von mir aus dem Jahr 2009. Ich war im Trott des Studiums und machte mir Gedanken über das Von-Zuhause-Ausziehen oder über das Im-Nest-Bleiben. Ich blieb noch drei Jahre.

Es gibt nichts zu berichten oder zu erzählen. Ist mein Alltag so langweilig? Möglicherweise schon. Ich vernachlässige bewusst Freizeitaktivitäten und Kollegen und gebe im Gegenzug der Arbeit, meinem Partner, der Familie und dem Studium den Vorzug.

Es fällt mir schwer, mehr zu machen, so gern ich auch wollte. Ich fühle mich meinem Studium und den anstehenden Prüfungen gegenüber stark verpflichtet und setzte mich diesbezüglich manchmal sicher auch zu stark oder in kontraproduktiverweise unter Druck.

Verhalte ich mich anders, das heisst, spontaner, indem ich mich verabrede und Sachen unternehme, so bekomme ich das Gefühl, ich vernachlässige mein Studium; ich würde es zu wenig ernst nehmen und mich nicht genug anstrengen und lernen.

Wo ist das positive Denken hin? Es ist da, doch, ich spüre es. Ich fühle mich doch vertraut in dieser Rolle des Einzelgängers. Hatte ich jemals einen festen Kollegenkreis, sprich, Kollegen, die ich über Jahre hinweg regelmässig sehe und mit ihnen etwas unternehme? Nein. Dies könnte leicht als Geringschätzung verstanden werden, ist es aber nicht, denn die Gesellschaft gefällt mir und viele Erlebnisse sind unvergesslich. Ich tendiere – und das ist schon seit Kindesalter so – dann halt doch dazu, mich zurückzuziehen in den engen Kreis, sprich die Familie und seit wenigen Jahren auch zu meinem Freund. Vielleicht ist es die Geborgenheit und Verbundenheit zu diesen Personen oder dass diese Welt kleiner und überschaubarer ist als die draussen und die Veränderungen in der kleineren Welt nicht so stark sind.

Möglichweise ist das normal, wenn man in jungen Jahren zuhause wohnt und sich so sehr an dieses Leben gewöhnt hat, dass im Kontext zum Lebensalltag von Kollegen und Freunden so erscheint. Ich kenne viele, in meinem Alter und älter, die ausgezogen sind. Ich stelle mir diese Veränderung als eine grosse vor. Einen Hauch dieser Erfahrung hatte ich, als ich für knapp sechs Monate allein in Australien unterwegs war und davon drei Monate in Sydney gewohnt habe. Dort habe ich trotz schulischer Verpflichtung ein reges Sozialleben gehabt und relativ viel unternommen. Ich glaube, wenn ich nun ausziehen würde, alleine oder in eine Wohngemeinschaft lebend, würde ich auch mehr unternehmen. Das nehme ich an.

Weiter bin ich mit diesem Kurs bisher gut gefahren. Denn Einbussen müssen immer in Kauf genommen werden. Ich möchte mich nicht einfach rechtfertigen, indem ich entgegenhalte, ich sei einfach so zurückgezogen, seit langer Zeit und könne mich nicht ändern und könne mich nicht anders verhalten. Ich weiss, dass ich mich anders verhalten kann und es vielleicht mehr tun sollte, aber anderseits ist mir bewusst, dass das nicht von heute auf Morgen geht.

Die Ruhe und Zurückgezogenheit geben mir Kraft und Schutz. Es fällt mir nicht immer leicht, im Wahnsinn der Welt zu leben. Auch wenn es nicht so wirken mag, dringt doch vieles hinein, durch die harte Schale der Gleichgültigkeit. Viel Liebe und Mitgefühl, aber auch Abscheu und Wut und ich weiss nicht, was damit anzufangen ist.

Stefan Kunz

20-10-85, CH (ZH, BS, SO)